Unser Ratsherr Hermann Josef Pilgram ist seit 1991 Mitglied des Aachener Stadtrats und hatte als dienstältestes Mitglied die Ehre, am 4. November die konstituierende Sitzung des Rates zu eröffnen.
In seiner Rede betonte er die Bedeutung, Verantwortung für die drängenden Probleme der Zeit zu übernehmen, pragmatische Lösungen für die Nöte der Bürger*innen zu finden, und die Demoktratie gemeinsam zu stärken – gegen Populismus und Polarisierung. Hier könnt ihr die Rede im Wortlaut nachlesen:
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,
wir beginnen heute eine neue Ratsperiode – fünf Jahre, in denen wir große Verantwortung tragen:
für das, was Aachen heute ist, und für das, was Aachen morgen sein wird.
Unsere Aufgabe ist es, vor Ort die großen Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen – und zugleich die Zukunft mitzudenken. Wir müssen eine Stadt gestalten, die „enkel*innentauglich“ ist: lebenswert, nachhaltig und gerecht für kommende Generationen.
Aachen steht vor gewaltigen Aufgaben: Klimaschutz, Stadtentwicklung, bezahlbarer Wohnraum, Mobilität, Digitalisierung. All das lässt sich in einem Wort zusammenfassen: Transformation.
Diese Transformation ist eine enorme Herausforderung – politisch, personell und finanziell. Was wir brauchen, ist ein gemeinsamer Wille, Verantwortung zu übernehmen, Prioritäten zu setzen und Entscheidungen zu treffen – auch dann, wenn sie unbequem sind.
Schon der letzte Rat hat vieles angepackt und auf den Weg gebracht. Ein sichtbares Zeichen für Zukunftssicherung und den Wandel sind die vielen Baustellen. Natürlich sind die lästig. Aber sie sind notwendig, wollen wir nicht riskieren, dass wichtige Infrastrukturen irgendwann zusammenbrechen. Und selbstverständlich gilt auch der Spruch: „Wer die Zukunft gestalten will, muss heute bauen.“
Wir sollten uns deshalb auch nicht im Klein-Klein verlieren. Wer alles zerredet, verliert nicht nur schnell die großen Ziele aus den Augen, er riskiert auch, dass man sich verzettelt und Maßnahmen unnötig verzögert oder ganz aufgeschoben werden.
Schon heute dauert vieles bis zur Umsetzung sehr lange. Ein Grund dafür kann das Bemühen sein, alles möglichst perfekt zu machen. Vielleicht sollten wir da pragmatischer werden. Mir persönlich ist ein fertiger Radweg, dem ein paar Zentimeter an der Norm fehlen, lieber als einer, der perfekt geplant wird, aber nur mit großer Verzögerung realisiert wird.
Aachen braucht flexible, pragmatische Gestaltung, nicht bürokratische Verwaltung. Vor allem braucht Aachen und brauchen wir Mut zum Handeln – nicht Furcht vor Veränderung.
Noch eine Bemerkung: Transformation darf nicht nur ökologisch und technisch gedacht werden, sie muss auch sozial tragfähig und alltagstauglich sein. Die Menschen müssen spüren, dass diese Veränderungen ihr Leben verbessern – dass sie Lebensqualität und Teilhabe sichern, nicht gefährden.
Aachen ist eine Stadt der Vielfalt und der offenen Begegnung. Eine Stadt, in der sich Menschen aus unterschiedlichen Lebenswelten begegnen.
Zur Stadtgesellschaft gehören die, die hier geboren sind – und – selbstverständlich – die, die hierherkommen, um zu lernen, zu arbeiten oder Schutz zu finden.
Diese Vielfalt ist im Gegenteil: unsere Stärke. Sie zeigt, dass Zusammenleben gelingt – jeden Tag, in der Nachbarschaft, im Viertel, im Verein.
Aber Vielfalt braucht Zusammenhalt. Und Zusammenhalt braucht Gerechtigkeit.
Denn wir sehen Entwicklungen, die spalten – beim Wohnen, bei Einkommen, bei Bildung. Wenn Menschen ihre Quartiere verlieren, weil Wohnen zum Luxus wird, dann geht es nicht nur um Baupolitik – dann geht es um soziale Gerechtigkeit und um den inneren Frieden dieser Stadt.
Aachen darf keine Stadt werden, die nur für einige funktioniert. Wir brauchen eine Politik, die den sozialen Zusammenhalt stärkt, die Teilhabe sichert und niemanden zurücklässt. Das ist die Grundlage für Vertrauen – und damit auch für eine starke Demokratie.
Unsere Demokratie ist ein hohes Gut. Aber sie steht unter Druck – durch Polarisierung, durch Populismus, durch den Ton, in dem öffentlich diskutiert wird.
Wir erleben, dass die Grenzen des Sagbaren sich verschieben. Dass aus berechtigter Kritik an Politik und Verwaltung schnell pauschale Verachtung wird. Dass aus Enttäuschung über Entscheidungen Misstrauen gegenüber den Institutionen entsteht.
Demokratie lebt vom Streit – aber basiert aber auch auf Maß, Respekt und Verantwortungsbewusstsein. Sie hält Widerspruch aus, aber keine Verachtung. Sie braucht leidenschaftliche Debatten, aber auch die Bereitschaft, Kompromisse zu schließen.
Wir hier im Rat können zeigen, was Demokratie leisten kann – dass sie handlungsfähig ist, dass sie Lösungen findet, dass sie die Lebenswirklichkeit der Menschen verbessert.
Wo Demokratie wirkt, wächst Vertrauen. Und wo Vertrauen wächst, verliert der Populismus seine Macht.
Wir dürfen nicht zulassen, dass die Lauten die Agenda bestimmen. Wir müssen beweisen, dass Zusammenarbeit – über Fraktionsgrenzen hinweg – bessere Ergebnisse bringt als Spaltung und Empörung.
Politik ist nicht nur das, was entschieden wird – sondern auch, wie wir miteinander umgehen, wenn wir entscheiden.
Der Stil, in dem wir hier im Rat diskutieren, prägt das Bild, das die Bürgerinnen und Bürger von Politik haben. Wenn wir uns gegenseitig Respekt entgegenbringen, zuhören und sachlich bleiben, zeigen wir, dass demokratische Arbeit Vertrauen verdient.
Natürlich wird es Konflikte geben – auch harte. Das gehört zur Demokratie. Aber es macht einen Unterschied, ob man sich in der Sache streitet oder den anderen herabwürdigt.
Gerade jetzt, wo der Ton rauer wird, tragen wir im Rat eine besondere Verantwortung. Wir müssen zeigen, dass politische Auseinandersetzung auch ohne persönliche Abwertung möglich ist.
Wir müssen Haltung bewahren – auch dann, wenn es laut wird. Denn Vertrauen wächst nicht durch Schlagabtausch – sondern durch Verlässlichkeit, Ernsthaftigkeit und gegenseitigen Respekt.
Ich wünsche uns allen eine konstruktive, respektvolle und mutige Zusammenarbeit.
Lassen Sie uns zeigen, dass demokratische Politik handlungsfähig ist – dass sie Konflikte aushält, aber Brücken baut.
Lassen Sie uns gemeinsam beginnen – mit Klarheit, mit Haltung und vor allem mit Herz für diese Stadt.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.